- Interview
- 28. Januar 2022
Topsharing: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg
Interview mit Karin Ricklin-Etter und Stephanie Briner, Co-Geschäftsführerinnen von WEshare1, der Anlaufstelle für Jobsharing und Topsharing
Im Interview mit den Co-Geschäftsführerinnen Karin Ricklin-Etter und Stephanie Briner von Weshare1 stellten wir diverse Fragen zu Modellen wie Jobsharing und Topsharing. Was spricht dafür, Topsharing im Unternehmen einzusetzen? Welche Herausforderungen können auf Unternehmen zukommen? All das und noch viel mehr erfahren Sie im folgenden Artikel.
Weshalb würdet ihr einem Unternehmen dazu raten, auf das Modell Topsharing zu setzen?
Stephanie: Es gibt viele verschiedene Aspekte, weshalb Unternehmen Interesse an Topsharing bekunden. Nehmen wir beispielsweise das Thema Teilzeitarbeit: Die Schweiz ist sozusagen Weltmeister was Teilzeitarbeit anbelangt - aktuell arbeiten 6 von 10 Frauen Teilzeit. Auch steigt die Teilzeitquote bei Männern stetig an. Das Topsharing-Modell bietet Unternehmen die Gelegenheit, qualifizierte Führungsfunktionen in Teilzeit anzubieten. Im Gegenzug ermöglicht dies Unternehmen, das Potenzial qualifizierter Fach- und Führungskräfte zu erschliessen - ein wichtiges Argument in Zeiten von Fachkräftemangel.
Zweitens ist es der Inbegriff der modernen Führung und Kultur, eine flache Hierarchie zu leben und als Führungspersonen nicht allein an der Spitze die gesamte Verantwortung zu tragen. Im Tandem Entscheide zu treffen erhöht die Qualität der Entscheide. Zudem ermöglicht Topsharing, operative Aufgaben und Führungsaufgaben zu vereinen.
Karin: Nebst dem wichtigen Argument, dass Unternehmen einen grösseren Pool an potenziellen Talenten ansprechen können, ist insbesondere auch der Aspekt der Nachhaltigkeit ganz wichtig. Dank Topsharing wird die Vereinbarkeit verbessert und somit ein Wertewandel angestossen, was die Attraktivität als Arbeitgeber*in stärkt. Dies hat einen positiven Effekt aufs Recruiting und auf die Retention, fördert also die nachhaltige Bindung von Talenten ans Unternehmen. Dieses Argument der Nachhaltigkeit gilt natürlich auch in Bezug aufs betriebliche Gesundheitsmangement (BGM); müssen nicht mehr alle Entscheide und Belastungen alleine getragen werden, kann dies entlastend wirken.
Auch auf die Diversität kann Topsharing einen positiven Einfluss haben, da der Talentpool durch die Ausweitung des Beschäftigungsgrads grösser und vielfältiger wird. Zahlreiche Talente, die nicht Vollzeit arbeiten können oder wollen, werden neu mitberücksichtigt. Abschliessend ermöglicht Topsharing, Wissen nachhaltig im Unternehmen zu halten. Verlässt eine Schlüsselposition das Unternehmen, nimmt sie sehr viel Know How und grosse Teile ihres Netzwerks mit. Im Falle eines Topsharings bleibt ein Grossteil davon jedoch im Unternehmen. Zudem kann Topsharing im HR strategisch eingesetzt werden, z.B. ein intergenerationelles Jobsharing im Rahmen einer Nachfolgeplanung. Insgesamt lässt sich also sagen, dass Topsharing ein sehr nachhaltiges Modell ist.
Mit welchen Herausforderungen soll ein Unternehmen rechnen?
Stephanie: Wir beobachten oft, dass die Unternehmensstrukturen nicht vorbereitet sind auf eine Doppelspitze, d.h. es können auf einer Position gar nicht zwei Personen erfasst werden. Das fängt beim Bewerbungsprozess an, wo der Dokumente-Upload von zwei Personen im Tandem nicht möglich ist. Oft ist es der Respekt davor, neue Wege zu gehen und die damit verbundene Unsicherheit. Umso wichtiger ist ein klares Commitment von der Geschäftsleitung und/oder dem Verwaltungsrat. Ebenso muss das Team involviert werden. Ein neues Arbeitsmodell einzuführen braucht viel Erklärungsbedarf, damit alle Beteiligten wissen, was auf sie zukommt.
Karin: Was die Führung von einem Topsharing Duo anbelangt sind viele Vorurteile vorhanden. Beispielsweise: ein Tandem zu führen sei viel zu kompliziert. Aber in der Realität hören wir das Gegenteil. Wenn das Tandem gut eingespielt ist, dann gibt es oftmals viel weniger Führungsaufwand als mit einer Einzelperson. Vorgesetzte von Job-Tandems berichten uns immer wieder, dass aus Führungssicht kein Mehraufwand entsteht.
Klar ist, dass initial mehr Aufwand für Abstimmung, Koordination und Kommunikation anfällt. Dies zahlt sich aber langfristig aus, wenn das Duo in zentralen Werten übereinstimmt und dieselbe Vision verfolgt.
Stephanie: Oftmals wird befürchtet, dass innerhalb eines Duos Konflikte entstehen könnten. Dabei kann es bei jeder anderen Position auch vorkommen, dass sich jemand mit einer Person im Team nicht versteht. Klar, das Duo muss kompatibel sein, gleiche Werte teilen und einen ähnlichen Arbeitsstil pflegen. Ebenso wichtig ist jedoch ein konstruktiver Umgang in Konfliktsituationen und dass im Vorfeld besprochen wird, welchen Lösungsansatz gewählt wird, wenn die beiden nicht einer Meinung sind. Was aber meist vergessen geht: oftmals sind Topsharing Duos weiter in der Selbst- und gegenseitigen Reflexion und starten an einem völlig anderen Punkt, verglichen mit Einzelbewerbenden. Als Topsharing Tandem ist man gezwungen, sich intensiv mit den eigenen Werten, Prinzipien und Führungsgrundsätzen auseinander zu setzen und sein Verhalten intensiv zu reflektieren. Dazu gehört, Entscheide zu hinterfragen. Davon profitiert schlussendlich auch das Unternehmen.
Ist Topsharing nicht einfach ein probates Mittel, damit sich Firmen einen Diversitäts-Anstrich geben können? (à la „Greenwashing“?)
Karin: Nein. In diesem Fall wird es nicht funktionieren. Es braucht ein klares Commitment. Ideal ist eine Begleitung durch ein Coaching. Initial ist viel Abstimmung nötig, das Duo muss sich finden, es gibt einige Schnittstellen. Am Anfang braucht es etwas Zeit und Geduld.
Inwiefern hat das klassische Verständnis von Leadership einen Einfluss aufs Topsharing?
Karin: Die Haltung ist eine ganz andere. Es geht nicht darum, als Führungsperson immer alles zu wissen. Kein „Ich befehle und Du machst“. Im Gegenteil. Topsharing lebt ein neues Führungsverständnis. In einer Welt der steigenden Komplexität kann ich nicht immer alles alleine wissen. Das Duo besteht aus zwei Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Kompetenzen, idealerweise ergänzen die beiden sich und kommen so zu besseren Entscheiden. Gleichzeitig können sie sich auch irren und stehen dann gemeinsam dazu, dass es eine Kursanpassung braucht. Das Leben einer Fehler- und Feedbackkultur ist somit ein wichtiger Bestandteil, genauso wie die Kommunikation auf Augenhöhe. Ein wichtiges Stichwort dazu ist auch die psychologische Sicherheit. Oftmals existieren zahlreiche Papiere und Leitfäden dazu, wie solche Konzepte im Alltag gefördert werden sollen. Topsharing ist ein spannender Ansatz, um im Tandem diese theoretischen Konzepte im beruflichen Alltag aktiv zu leben, als Vorbild andere zu inspirieren und mitunter auch einen Kulturwandel anzustossen.
Stephanie: Es erfordert auch ganz viel Transparenz. Informationen werden oftmals noch als Machtinstrument genutzt. Beim Topsharing können und dürfen Informationen nicht zurückgehalten werden. Es wird offengelegt, was man leistet.
Wie Karin bereits erwähnte: auf Augenhöhe zu führen und unterwegs zu sein ist elementar. Das Rollenverständnis ist ein völlig anderes. In einem Tandem ist es möglich, auch unterschiedliche Stärken zu betonen und sowohl operative als auch führende Tätigkeiten zu kombinieren. Dadurch werden Querverschiebungen im Unternehmen gefördert, d.h. eine erfahrene Führungsperson wird im Topsharing von Führungsaufgaben entlastet und gewinnt Zeit, um sich operativen Projekttätigkeiten zu widmen. In diesem Fall kann ein Tandem intergenerationell sein, dies bedeutet, dass sich zwei Personen unterschiedlichen Alters eine Stelle teilen.
Ist das Topsharing-Modell auch „KMU-tauglich“ oder nur etwas für grosse Firmen?
Stephanie: Je nach Unternehmensgrösse ist die Herangehensweise ans Thema eine andere. In grossen Firmen geht es vor allem darum, wie das Modell systemisch in der Organisation etabliert werden kann, ein Talentpool aufgebaut werden kann, usw. Somit funktioniert es dann auch personenunabhängig. Bei KMU’s ist die Einführung von Topsharing oftmals viel personengetriebener. Struktur und Formalität sind sekundär. Kleinere Unternehmen sind vielleicht umsetzungsorientierter und mutiger darin, einfach mal etwas auszuprobieren. Spannend ist auch, dass in Familienunternehmen das Topsharing Modell oftmals schon ganz natürlich gelebt wird, aber es trägt einfach nicht dieses „Label“.
Es ist also grundsätzlich keine Frage der Unternehmensgrösse. Wenn das Commitment da ist, dann ist auch der Weg machbar.
Welches Vorgehen würdet ihr einem Unternehmen raten, das Interesse an Topsharing hat?
Karin: Zuerst einmal eine gute Auseinandersetzung damit, was Topsharing bedeutet. Auf unserer Seite gibt es dazu einen grossen Fundus, den wir interessierten Unternehmen kostenlos zur Verfügung stellen. Wir sensibilisieren Unternehmen bei diesem Prozess, führen Impulsreferate durch und fördern einen gemeinsamen Erfahrungsaustausch. Bei weiterem Unterstützungsbedarf vermitteln wir das passende Angebot bei unseren Netzwerkpartner*innen. Das HR kann Topsharing als strategisches Instrument nutzen, beispielsweise für die erwähnte Nachfolgeplanung oder den Wissenstransfer. Ebenso können damit bestehende Silos aufgebrochen werden.
Stephanie: Wichtig ist es, die Schlüsselpositionen dafür zu sensibilisieren. Viele Tandems finden innerbetrieblich zusammen.
Natürlich ist es auch sinnvoll, auf Stelleninseraten ganz explizit zu erwähnen, dass man auch offen ist für Bewerbungen von einem Duo. Wieso nicht einfach die Möglichkeit von Topsharing ins Auge fassen und sich dafür öffnen?
Das Schlusswort gehört euch. Was möchtet ihr noch sagen?
Stephanie: Ich freue mich, wenn möglichst viele Personen sich von den Erfolgsgeschichten in unserer #seeingisbelieving Blogreihe inspirieren lassen, den Mut haben, bekannte Schemen über Bord zu werfen und die Chance zu nutzen, Topsharing auszuprobieren.
Karin: Genau; seid mutig und traut euch! Falls jemand unsicher ist, gibt es viele Informationen und Unterstützungsmöglichkeiten. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Karin Ricklin-Etter und Stephanie Briner sprechen aus eigener Erfahrung. Im Tandem leiten die zwei Frauen WEshare1, die Anlaufstelle für Job- und Topsharing. Als Sidepreneurinnen verfolgen sie parallel dazu jeweils eine zweite berufliche Karriere. Durch Topsharing können die beiden Familienfrauen nicht nur zwei Jobs miteinander verbinden, sondern gleichzeitig auch Karriere und Familie unter einen Hut bringen.